Es ist nicht immer so einfach mit uns Menschen, wenn es darum geht, uns aus unseren Träumen und Hoffnungen herauszulösen. Zu viel steht dabei für uns auf dem Spiel - denn, wie wäre es, wenn wir wüssten, wir könnten z.B. unsere Liebe nicht in Erfüllung erblühen sehen? Oder wenn wir wüssten, wir hätten an manchen Punkten keine Wahl, keinen freien Willen wie uns immer so schön gesagt wird? Oder, wenn wir wüssten, dass es das Ende unseres Daseins wäre, das unmittelbar bevorstünde? Das alles ist mit Hoffnungen und Sehnsüchten verbunden, die uns träumen lassen; das Schöne am Träumen sind doch die Gefühle, die Ungewissheit und das Nicht-Sicher-Sein müssen; dass es Optionen gibt, die wir uns ausmalen können und von denen wir uns sagen, dass sie die reiche Vielfalt des Lebens sind. So schwelgen wir in unseren Hoffnungen auf ein besseres, schöneres, einfacheres Leben, oder einfach darin, diese oder jene Wünsche zu haben.
Was wir als Menschen aus unserer fluoreszierenden Traumwelt nicht erkennen können, ist, woher welche Informationen stammen. Kommen unsere Wünsche und Hoffnungen von uns, oder entstammen sie gar einer innersten Sehnsucht, die wir noch nicht erkannt haben und deren Erfüllung uns ein Stück näher an uns bringt; oder entstammen sie doch jenen Dingen, die wir als „außen“ bezeichnen - alles, was uns einmal gezeigt wurde, was wir gesehen oder gehört haben; was wir in den vielen Liebesliedern in uns erfahren haben oder von dem wir glaubten, es wäre ein Spiegel von uns, der uns den Weg weißen würde? Wir wissen es nicht und darauf sind wir sogar ein bisschen stolz. So können wir uns bemühen, unsere Träume in den schönsten Farben zu gestalten und unsere kühnsten Gedanken dorthin verpacken, um uns selbst zu überraschen. Und wir können uns freuen, wenn wir es geschafft haben, sie real werden zu lassen, oder - wenn wir uns darin üben, sie im Zaum zu halten, uns zu mäßigen, oder uns bescheiden zu geben. Wir wollen ja nicht zu egoistisch, freimütig oder übermütig werden in unseren Hoffnungswelten. Und immer sollte dabei etwas sein, was für alle wichtig ist, was der Welt dient, was andere voran bringt und was einen Mehrwert für alle Menschen und am besten noch den Planeten bringt. Daher auch die Selbstkasteiung: Wenn wir uns einhalten, uns in Bescheidenheit üben und unsere Gefühle nicht Amok laufen lassen, ja dann - so sagen wir es uns - sind wir über den Dingen, tuen etwas für alle und stecken gerne für andere zurück.
Die falsche Rücksichtnahme, die es nicht gibt.
Der Gedanke, auf andere achten zu müssen, fußt in dem Glauben, man würde zu große Füße haben und zu viel Platz im Leben verbrauchen, sodass andere in ihrem Platz beschränkt sind. Wer bewusst den großen Fuß auslebt, wird entweder geächtet, oder gefeiert - ganz im Sinne der Stellvertretung aller, die es nicht wagen, ihr Leben auch so zu gestalten („es können ja nicht alle so leben“, „wo kämen wir da hin, wenn dies jeder machen würde“). Der falschen Rücksichtnahme, in der wir uns üben, liegt ein tieferer Glaube zu Grunde: Es ist jener, der uns immer wieder dahin bewegt, wo wir uns als „Vergangenes Ich“ erkennen wollen. Die Paradoxie ist nämlich, dass es keine falsche Rücksichtnahme gibt, weil die Rücksicht an sich schon nach hinten gekehrt ist und uns nie auf jemand anderen achten lässt, nicht einmal auf uns selbst. Denn darin haben wir die Kehrtwendung gelegt: In das hinein, was wir als Selbstfürsorge oder Sich-selbst-am-nächsten-Sein erkannt haben. Wer nicht zuerst auf sich schaut, ist auch nicht von Nutzen für eine Gesellschaft und nicht tragfähig genug für all das, was man noch so erleben möchte im Leben - so sagen wir es uns und strengen uns an, oft genug an uns selbst zu denken, ohne gleichzeitig alle anderen zu vergessen.
Das „Vergangene Ich“ ist Schauplatz eines besonderen Spiels: Im Gedenken an unerfüllten Sehnsüchte haben wir ein Echo erschaffen, das uns an „früher“ denken lässt. Es ist eine Erinnerung an etwas Nie-Dagewesenes, die „Optionen, die das Leben schenkt“, ohne es je getan zu haben. Im Vergangenen Ich sind all diese Sehnsüchte gespeichert. Wir können in höchst emotionalen Momenten am besten darauf zugreifen; und so bringen wir uns ständig ans Limit: Entweder, indem wir die physische Bedrohung suchen und nicht aus unseren Umständen heraustreten, in denen wir vermeintlich gefangen sind (z.B. Kriminalität, Übergriffigkeit usw.), sondern uns verleiten lassen zu dem nächsten Höhepunkt, der uns all den Träumen näher bringt, von denen wir eben dachten, sie seien Möglichkeiten, die wir erfahren können, wenn wir etwas Bestimmtes in Kauf nehmen würden; oder wir suchen das Limit im emotional Drahtseilakt, bei dem wir gerne mal die Balance zu verlieren drohen: Stress, Hektik, erhöhter Adrenalinspiegel, oder einfach Sorgen. Damit halten wir uns in Bewegungen, die uns ermöglichen auf das Vergangene Ich zugreifen zu können. Das ist jener Ort, an dem wir erfahren, was wir hätten sein können.
Was aber, wenn dieses Gebilde nun abgetragen wird und wir nicht mehr auf die Hoffnungen und Träume zugreifen können?
Wir entledigen uns nun Schritt für Schritt allem, was wir hätten sein können. Dafür durchleben wir einige bekannte Situationen und auch einige für uns neue Situationen. Wir können noch immer nicht genau unterscheiden, was wozu dient, aber als Indikator ist es meist ein Extremgefühl: extrem starke Anziehung, extrem starkes „Herz in die Hose rutschen“, extrem starkes „nicht mehr wiedererkennen können“ o.ä. Letzteres erinnert etwas an die Demenzerkrankung, die sich ebenfalls diesen Mechanismus zu nutze macht und alles durchspielt, was man hätte tun, sagen oder sein können. Es ist nicht von ungefähr, dass es wie ein Kontrollverlust aussieht. Dahinter verbirgt sich allerdings noch mehr.
Das Vergangene Ich, das nie gewesen ist.
Wozu entstanden überhaupt diese Konstruktionen, die uns glauben machen, wir hätten noch andere Optionen, müssten uns des freien Willens bedienen und könnten nicht alles leben, was wir uns vorgenommen hatten?
Im Fall der Vergangenen-Ich-Konstruktion greifen wir auf das zurück, was uns beigebracht wurde, bevor wir hier auf die Erde kamen: Es wurden Bedingungen eruiert, Möglichkeiten abgewogen und Wegsteine gelegt, um den „richtigen“ Pfad zu finden; dazu wurden noch Menschen eingesetzt, die bestimmte Funktionen innehatten, um den jeweiligen anderen dazu zu verhelfen, eine gewisse Aufgabe zu leben. So war es seit einigen Jahrmilliarden in unseren Seelenkonstrukten zu sehen. Doch da wir diese nun abgetragen haben und nun klarer auf uns und alles andere sehen können, erkennen wir, warum wir uns Vergangene-Ich Gebilde eingebaut haben. Denn, ja, jede und jeder von uns hat Teile davon in sich oder in einigen Abbildungen der verselbstständigten Matrixkonstellation (dazu ein andermal vielleicht mehr, wenn es noch relevant sein sollte).
Die interessante Sache dabei ist nun, dass wir live und hautnah miterleben können, wie wir unsere Träume durchspielen und abtragen, also hinausfließen lassen aus uns (anstatt immer etwas in uns aufzunehmen machen wir es diesmal anders herum). Wir lassen all das hinausströmen aus all den Seinskonstrukten, die uns umgeben (denn wie könnte es auch anders sein, auch die Vergangene-Ich-Sache ist natürlich mit so ziemlich allem verwoben, was noch herumfliegt). Daher auch die Zusammenhänge mit Liebe, reminiszierendem Orangen-Schälen und der Angst, die eigene Stimme zu verlieren.
Lied hören: AnnenMayKantenreit - Orangenlied
Wohin führt uns dieser Abbau?
Wir werden weniger Träumen können und auch unsere Horror-Vorstellungen werden sich nicht mehr erreichen lassen. Das sollte uns einiges an Stress sowie herzzerreißender Vorfreude nehmen. Wir unterschätzen noch immer die Anstrengung, die es braucht, um all diese Emotionen tragen zu können, die wir durch unsere Körper laufen lassen. Das Schwelgen und Sich-etwas-Ausmalen wird nun nicht mehr so gut gelingen, es wird kaum möglich sein, Fantasiekonstrukte fertig zu bauen.
Und hier ist es wichtig etwas zu beachten: Wir haben diese Gebilde (alles, was wir uns so vorstellen und erhoffen) nicht aus dem heraus geschaffen, was wir als „Stoff, aus dem die Träume sind“ bezeichnen, sondern aus vielerlei Parametern, die ausschlagen, wenn wir auf gewisse Wegen schreiten.
Was hier kompliziert klingt, ist ganz einfach: Wir begreifen uns selbst nicht, wenn wir ständig in diese Welten gezogen werden, die nicht die unseren sind, sondern jene, die andere für uns errichtet haben, um uns dort immer wieder begrüßen zu können für etwas, das nicht erlebbar gemacht werden kann oder soll.
Des Weiteren wird es uns nun viel besser gelingen, etwas zu „erschaffen“, also herauszuheben, was wir vergraben hatten und dem Vergangenen-Ich-Konstrukt. Es sind ein paar Schätze, die wir hier bergen können und mit denen wir einige Träume, die dann keine mehr sind, wahr werden lassen, bevor wir uns den nächsten Herausforderungen widmen, die uns bereits erwarten. Es ist daher eine schöne Zeit, ja, durchaus. Aber eine schwere Geburt - schließlich geben wir wieder einen Teil von uns auf, von dem wir uns glauben gemacht haben, dass sie das Menschsein ausmachen würden. Wer sonst kann träumen, außer uns Menschen, haben wir uns gefragt. Einige, ist die Antwort - doch niemand hält sich so damit gefangen wie die Menschen es bisher getan haben. Es an der Zeit, diese Einschränkungen ein für allemal abzubauen.